News Vorratsdaten­speicherung: Innenministerin Faeser will anlasslose Datensammlung

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capitalguy schrieb:
wie lange werden ip-adressen im augenblick von den internet anbietern wie t-online etc. gespeichert?
Cool Master schrieb:
10 Wochen also ja, das ist vollkommen ausreichend um Fälle aufzuklären.

Das ist nicht korrekt. Die 10 Wochenfrist stammt aus der letzten Vorratsdatenspeicherung und ist so zur Zeit ausgesetzt und ab dem 20 Sept. 2022 wohl eh hinfällig. Genau genommen hat sich seit der 7-Tage Regel seit 2007 nichts mehr getan, es herrscht komplette Rechtsunsicherheit und faktisch entscheidet der Betreiber selber was er wie lange vorhält und rausgibt.

PHuV schrieb:
Dann können wir jetzt gerne diskutieren, wie das nun juristisch zu deuten ist, wenn Menschen aufgrund falscher Verdächtigungen, fehlerhaften Ermittlungen oder fehlerhaften Datenzusammenstellungen in den oben genannten Grundrechten in ihrer Lebensqualität erheblich eingeschränkt werden, wenn sie dauerhaft, trotz Freispruch, stigmatisiert werden.

Eigentlich wollte ich auf derlei Unsinn nicht eingehen, aber vielleicht verhindert dass für die Zukunft ein paar Fehler, denn du hast offenkundig keine Ahnung von Verfassungsrecht:
Zunächst mal verstehst du schon nicht den ersten Satz. Die Menschwürde kann nicht genommen worden (das steht da), nichtmal durch unwürdiges Verhalten (BVerfGE 87, 209 (228)). Die Menschenwürdegarantie schützt jeden Menschen davor, dass er einer Behandlung ausgesetzt ist, die seine Subjektsqualität grundsätzlich in Frage stellt und ihn zum bloßen Objekt staatlichen Handels macht (BVerfGE 96, 375 (399)).
Problematisch ist, dass bzgl. Art. 1 GG nach wie vor umstritten ist, ob dieses überhaupt subjektive Wirkung entfaltet, denn es spricht explizit von den "nachfolgenden Grundrechten" und auch das BVerfG sieht in den nachfolgenden Grundrechten eine Konkretisierung der Menschenwürdegarantie.
Es gibt eine Vielzahl weiterer Streitpunkte an diesem Grundrecht. Schwierig für deine Argumentation ist aber, dass auch das theoretisch misshandelte Kind diesen und aus diesem konkretisierten Schutz erfährt. Es kommt zu einer Kollision von Grundrechten, denn der Staat kann nicht wissen, dass die Anschuldigung frei erfunden war. Und im Zuge einer Güterbarwägung genießt der potentielle Schutz eines Minderjährigen vor körperlicher und auch psychischer Gewalt Vorrang vor der potentiellen psychischen Belastung einer Ermittlung an einem Erwachsenen. Das ist logisch, oder?
Dieses Belastung streite ich nicht ab, aber genau dafür gibt es einen großen Werkzeugkasten um gegen den Staat und sein Handeln vorzugehen und die Schäden zu korrigieren. Man ist grundsätzlich keiner Willkür ausgesetzt.
Weiter wird psychisches Wohlbefinden vom Schutzbereich des Art. 2 II S.1 GG nicht erfasst. Richtig ist, dass ein Schutz vor psychischen Krankheitszuständen gegeben ist, allerdings bezieht dieses auf die historischen Ereignisse der nationalsozialistischen Folter und ist dementsprechend eher eng auszulegen. Wobei Folter, als auch die bloße Androhung, dadurch verboten sind. Man erinnere sich an den Mordfall "Jakob von Metzler".
Vor allem aber ignorierst du Art. 2 II S.3 GG: "In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden."
Es ist also möglich in die Persönlichkeitsrechte einer Person mittels Gesetz einzugreifen, beispielsweise um den Schutz anderer zu gewährleisten, dass nennt sich Schranke.

PHuV schrieb:
In meinen Augen sollte ein Rechtsstaat in allen Fällen stets bestrebt sein, die Grundrechte einzuhalten.

Ich glaube du hast immer noch nicht den Begriff Rechtsstaat verinnerlicht. Das ist aus Art. 20 III GG herauszulesen, dass heißt Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, also eine Bindung ans Gesetz.
In der Debatte wird immer so getan, als wüssten alle vorher schon, dass "der Staat", also die Legislative, verfassungsfeindliche Gesetzte erlässt. Genau genommen sind das aber alle Gesetze, weil alle in irgendeiner Form in Grundrechte eingreifen. Wie schwer dieser Eingriff wiegt und ob er tatsächlich noch vertretbar ist für das bestrebte Ziel prüfen dann die Verfassungsgerichte, sofern eine Beschwerde eingelegt wird. Randinfo: Über 98% aller Verfassungsbeschwerden werden vom BVerfG direkt abgelehnt.

PHuV schrieb:
Wenn unschuldige Menschen z.B. von den exekutiven Kräften einfach niedergeschlagen und verletzt werden, weil sie aufgrund fehlerhafter Infos die Wohnung oder das Haus verwechselten, ist das nun ein Verstoss gegen Art 1 und 2?

Gegen Art. 1 GG nicht, bleibt ne Platzwunde am Kopf wegen dem Schlagstock zurück dann Art. 2 II S. 1 GG. Aber dadurch ergibt sich per se kein konkreter Anspruch. Den der Eingriff ist grundsätzlich gerechtfertigt wenn begründet und verhältnismäßig. Viel besser auf dieses Szenario passt aber Art. 13 GG. Aber auch hier gilt, die Verwechselung ist nicht beabsichtigt (und auch nicht die Regel). Schäden die daraus erwachsen sind vom Staat zu kompensieren.

PHuV schrieb:
Dann können wir weitergehen zur Unschuldsvermutung usw., und wir kommen in juristische weitreichende Wege.

Kern der Unschuldsvermutung ist, dass der Beschuldigte nicht seine Unschuld beweisen muss, nicht umgekehrt. Aber in einem Ermittlungsverfahren ist beispielsweise die vorläufige Festnahme und die Untersuchungshaft aufgrund dringenden Tatverdachts auch ohne den endgültigen Beweis der Schuld des Beschuldigten möglich. Den Ermittlungsmethoden kommt wegen der Unschuldsvermutung nämlich keine strafende Wirkung zu. Obwohl die Untersuchungshaft und die Verbreitung dieser Tatsache über Presse und Bekanntenkreis des Betroffenen eine rufschädigende Vorverurteilung mit sich bringen können.
Aber diese Vorverurteilung geht nicht vom Staat aus, sondern offenbart ein Problem in der Gesellschaft. Denn jeder ist unschuldig, und auch so zu behandeln, bis die Schuld bewiesen wurde.
Wenn die Menschen einem trotzdem mit Steinen und Kot bewerfen wollen sollte wir uns eher Sorgen um den Zustand unserer Gesellschaft machen, nicht um unseren Rechtsstaat.

PHuV schrieb:
Ist dann eine Vorrausdatenspeicherung nicht eine Sammlung von Daten, die alle per se unter Verdacht stellt, weil sie zum Zweck einer potentiellen Strafverfolgung in der Zukunft dient?

Nein. Dass ist eine populäre Ansicht von Kritikern der Vorratsdatenspeicherung, so aber nicht korrekt.

PHuV schrieb:
Was soll das jetzt? Natürlich habe ich sie gelesen.

Wenn du das getan hättest wüsstest du, dass eine anlassbezogene Erfassung Gegenstand der Planung ist. Die anlasslose Erfassung von 2017 wird wahrscheinlich am 20. Sept. kassiert. Völlig egal was politisch gefordert wird.

PHuV schrieb:
Wenn nicht mal Mord das rechtfertigt, wie soll es dann populärpolitisch mit dem angeblichen Kampf gegen Kindesmißbrauch von der werten Innenministerin Nancy Faeser zu rechtfertigen sein?

Das eigentliche Grundproblem ist, dass die Rechtsprechung immer noch versucht ihre analogen Vorstellung auf etwas digitales zu projizieren. Das ist aber nicht nur juristisch ein Problem, sondern zieht sich, wie dir bekannt sein dürfte, wie ein roter Faden durch alle Bereiche unserer Gesellschaft.
Darum bin ich auch der Ansicht, dass eine ausgestaltete Vorratsdatenspeicherung früher oder später zur Norm wird. Wie gesagt, die Abschaffung der Strafbarkeit von männlicher Homosexualität hat auch Jahrzehnte und drei Anläufe als Verfassungsbeschwerde benötigt um durchgesetzt zu werden.
Lückenlose Überwachung ist jetzt schon fester Teil unseres Konsumverhaltens, irgendwann ist das so normal und fest verankert, dass das BVerfG die Einwände gegen eine Vorratsdatenspeicherung in einem Abwägungsprozess als nachrangig einstuft., so zumindest meine Ansicht.

Draco Nobilis schrieb:
Du hattest den Vergleich zu Arbeitslager und Steineklopfen Länder gebracht.
zwischen dem Extrem des Arbeitslagers / Steine klopfen, ohne möglichen Rechtsweg und dem Extrem des Schutz vor ungerechtfertigten Vorwürfen und Rufmord, gibt es für den Beschuldigten aber noch mehr Stufen.

Nein, denn entweder es gibt einen Rechtsstaat oder nicht. Da gibt es kein dazwischen. Und wir haben einen, steht in Art. 20 III GG.

Draco Nobilis schrieb:
Natürlich kann man bei Rufmord und psychischen Folgekrankheiten dann Rechtsmittel einlegen, die aber real zu allermeist einfach nur bedeutungslos sind.

So ein Quatsch. Aber bitte, wenn du das glaubst...

Draco Nobilis schrieb:
Bei der Todesstrafe in den USA ist ein Irrtum im Nachgang auch nicht behebar und es kam vor.
Dennoch würde niemand daran zweifeln das die USA ein Rechtsstaat ist^^

Weil das auch nichts mit dem Rechtsstaatsprinzip zutun hat ob es eine Todesstrafe gibt oder nicht. Diese hat Japan auch und vollzieht sie auch und ist trotzdem ein Rechtsstaat.
Irrtümer sind niemals gänzlich vermeidbar, denn ein Staat besteht auch nur aus Menschen. Kein System ist perfekt.

Draco Nobilis schrieb:
Das heißt das Rechtsstaat allen keine Aussage darüber treffen kann ob eine Maßnahme sinnvoll ist oder nicht.

Korrekt, denn das Prinzip meint nur eine Bindung ans Gesetz. Ob eine Maßnahme sinnvoll ist muss politisch diskutiert und juristisch geprüft werden.

Draco Nobilis schrieb:
Kein Licht ohne Schatten.

Well done! Also du möchtest lieber nur aufgrund einer Anschuldigung Steine im Gulag klopfen ohne je das Recht auf einen fairen Prozess oder einen Anwalt gehabt zu haben? Ist notiert.
 
Beelzebot schrieb:
Es herrscht komplette Rechtsunsicherheit und faktisch entscheidet der Betreiber selber was er wie lange vorhält und rausgibt.

rechtsunsicherheit ist in einem rechtsstaat aber überhaupt nicht gut. das sollte man schleunigst in ordnung bringen.
 
capitalguy schrieb:
rechtsunsicherheit ist in einem rechtsstaat aber überhaupt nicht gut. das sollte man schleunigst in ordnung bringen.
Da kommt der Vorschlag der Innenministerin ja wieder ins Spiel. Ob der am Ende durch die Legislative, Exekutive und schließlich Judikative abgesegnet wird, steht auf einem anderen Blatt.

@Beelzebot : Danke für die juristischen Klarstellungen.
 
Was wäre denn, wenn aus dem bisherigen "Rechts"-Staat ein "Links"-Staat werden würde, was durchaus möglich ist? Oder zumindest ein "Mitte"-Staat, denn es gibt auf der Welt genügend Beispiele dafür.

Ich möchte einfach mit meiner Frage den Horizont ein wenig erweitern, denn darüber kann man trefflich diskutieren.
 
HINWEIS:
Das Urteil ist da und wie erwartet.
Eine Anlasslose Vorratsdatenspeicherung ist rechtswidrig.
Nur unter bestimmten strengen Voraussetzungen sei eine begrenzte Datenspeicherung zulässig.

Ich hoffe, dass sich dieses Thema dann endlich mal erledigt hat. Wobei ich mir das mit Faeser nun wieder auch nicht vorstellen kann...
 
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Na mal schauen, wird sich sicherlich wieder eine "kreative" Pseudolösung erdacht werden, bei der der EUGH dann neu entscheiden muss. Der - so perfide es leider klingt - "Kinderschänder-Joker" hat man ja bereits gezückt, der "Terror-Joker" ist ausgelutscht, vielleicht müssen dieses mal der Klimawandel oder Putin herhalten, zutrauen würde ich selbst sowas abwegiges der deutschen Politik.
 
capitalguy schrieb:
rechtsunsicherheit ist in einem rechtsstaat aber überhaupt nicht gut. das sollte man schleunigst in ordnung bringen.

Naja, es ist eine Gratwanderung und eben ein Prozess, das Urteil heute hilft dabei schon deutlich.

MichiSauer schrieb:
Ich hoffe, dass sich dieses Thema dann endlich mal erledigt hat. Wobei ich mir das mit Faeser nun wieder auch nicht vorstellen kann...

Das hat nichts mit einer politischen Figur zutun. Und zudem werden ja schon Nachfolgeregelungen evaluiert, so wie auch in dieser News erwähnt...
Mich überrascht das Urteil, es lässt mehr Spielraum zu als ich gedacht hätte: " [...] oder mittels eines geografischen Kriteriums kann eine gezielte Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten erfolgen"

Ich denke aber nicht, dass in eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung in nächster Zeit allzu viel Initiative fließt. Viel erfolgversprechender wird die Ausgestaltung der anlassbezogenen Vorratsdatenspeicherung sein.
 
Hoffentlich ist jetzt, nach nochmals wiederholtem Urteil von höchster Instanz, dass die VDS nicht mit EU-Recht und dem deutschen Grundgesetz vereinbar ist, endlich Ruhe zu dem Thema.
 
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